Mehr als ein Jahrhundert nennt der Keller bereits sein Eigen. Er hat Weltkriege, Aufruhr und Veränderung erfahren. Mensch und Traube über schwere Zeiten hinweg begleitet. Der Weinkeller von Familie Sammer-Riegler ist einer der ältesten der Region und wird bereits in der fünften Generation bewirtschaftet. Ein Besuch mit spannenden Fundstellen und Fragmenten aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Weinbaus. Beitrag von Gastautor Wolfgang Hoi.
Es ist halb 5 morgens, der Kaffee fängt nur langsam an zu wirken. Ludwig Sammer, Senior Chef des Hauses, blickt prüfend aus dem Fenster. „Es sieht nach Regen aus, das ist nicht gut“. Für diesen Tag ist die Weinlese eingeplant. Jedoch nur, wenn das Wetter hält. Knappe drei Stunden später geht es dann sehr schnell.
Die Wolken verschwinden und die Helfer aus der Familie werden zusammengeholt. Mit dem Traktor geht es zum Weingarten, Kübel und Rückentragen, sogenannte Kiepen, werden verteilt. Auch heute noch ist die Lese beschwerlich. Auch wenn die Anbaufläche der Familie in Breitenbrunn kleiner geworden ist, nach wie vor sind viele helfende Hände notwendig, um die Trauben einzuholen. Kurz lasse ich mich ablenken, vom Blick auf das UNESCO-Welterbe, dem Neusiedlersee und seinem Naturschutzgebiet.
Sortenabhängig und je nach Süßegrad wird mit der Weinlese üblicherweise im September und Oktober begonnen. Idealerweise dann, wenn sich die Kerne braun verfärben. Verschiebungen sind aber auch bis in den November möglich.“
Doch recht zügig werden Traubenschöpfe mittels Handscheren in feinster Sortierarbeit von den Reben geschnitten, in den Behältern gesammelt und mit Vorsicht in die Buchtung des Anhängers gepackt. „Die Trauben sollten nicht platzen“, sagt Ludwig Sammer, „ansonsten kommt Sauerstoff zum Inhalt und die Oxidation beginnt zu früh.“ Ich lasse mir erklären, dass es sich bei den jetzigen Weingärten meist um Hochkulturen handelt, die mittels Draht „geführt werden“. In der Region seit den 1960iger Jahren üblich. Vorher pflegten die Besitzer Stock- und Niederkulturen, die nur mit gebückter Haltung abzuernten waren. An dieser Stelle ziehe ich auch gedanklich vor der anspruchsvollen Arbeit der Weinbauern meinen Hut, nicht nur im jetzigen, sondern auch im vergangenen Jahrhundert.
Inhalt
Wagemutiger Transport
Noch bis weit in die 1960iger Jahre hinein, sind die Gärten mit Pferdefuhrwerken bestellt worden. So war es kein seltenes Bild, dass zur Lesezeit Chaos vor den Weinkellern herrschte. Wollte doch jeder seine Fuhre sicher unterbringen. „Es gab regelrechte Wettrennen um den ersten Platz bei dem jeweiligen Keller. Viele waren ja aneinander gebaut. Alle anderen mussten warten, die Plätze waren ja nicht groß“, hat der Pensionist das bunte Treiben noch vor Augen.
Ludwigs Vater Franz, selbst Fuhrwerker, brachte mit seinem Gespann so manche Ladung sicher ans Ziel. „Unser Wagen musste daher immer warten. Das war uns Lausbuben aber so gar nicht recht und gemeinsam haben wir das Gefährt angeschoben. Der, der am schnellsten rennen konnte, konnte vorne rauf. Einer hinten, der für das Bremsen zuständig war. Die anderen seitlich. Teils haben wir die Gespanne mit den Rössern überholt.“ Selbst muss ich schmunzeln.
Die Bilder in meinem Kopf versetzen mich so unmittelbar in die Vergangenheit, wie ich es nicht erwartet hatte. Die Ladungen waren mit 600 Kilogramm nicht gerade leicht. Kein Vergleich zum jetzigen Vorgehen, Gewichte zwischen 1000 und 2000 Kilogramm sind da keine Seltenheit. „Heute sind die Sorten so gezüchtet, dass wesentlich mehr Trauben auf den Reben vorhanden sind als früher“, erklärt der sympathische Alt-Weinbauer die merkliche Zunahme an Belastung.
Von der Lese zum Wein
Früher noch direkt im Pressbereich des Weinkellers, werden die Trauben heute im Haupthaus über einem Sieb gerebelt, also von Stängeln und etwaigen Blättern gereinigt, in große Bottiche gegeben und schließlich angedrückt. Regelmäßig werden die Trauben in den entstandenen Saft getaucht. Maischen nennt sich der Vorgang.
Im nächsten Schritt setzt die Familie eine hydraulische Presse ein. „Bei uns werden nur die besten Trauben raus geschnitten, einmal sanft gepresst und in Fässer und Tanks zur Gärung gefüllt. Ganz ohne Filtrierung“, sagt mir Markus Sammer-Riegler, mit dem ich mich vor dem Keller treffe, der so lange Zeit überstanden und allen Widrigkeiten getrotzt hat. Zuviel pressen bedeutet vermehrte Bitterstoffe im Wein, erfahre ich. Dies kann nachträglich zwar chemisch kompensiert werden, davon hält der Kleinwinzer aber nichts.
Manuelle Presse aus dem frühen 19. Jahrhundert
Vor einigen Jahrzehnten noch war dieser Prozess aufgrund der frei werdenden Gärgase sehr gefährlich. Mir wird erzählt, dass vor allem in solchen Kellern viele Menschen ums Leben gekommen sind, wo Presshaus und Fässer auf einer Ebene platziert waren. Nicht alle haben über Ableitungen nach draußen verfügt. Je mehr Wein, desto mehr Gase. Mittels einer Kerze konnte man dem entgehen. Die Flamme erlosch noch wesentlich früher, bevor Gefahr bestand. Eine lebensrettende Maßnahme, denke ich mir, oder am besten gleich zu zweit agieren.
Seit die Weinhersteller aber immer größer und angepasster auftreten, sind die teils riesigen Hallen mit Klimaanlagen und automatischen Abzügen ausgestattet worden. Während der Weinherstellung wird fermentiert, in Tanks geleitet, wieder abgepumpt, tote Hefe entnommen und erneut in Tanks oder Fässer retour geschickt. Vor dem Abfüllen wird Schwefel hinzu gegeben. Hier noch den Durchblick über die vielen Bausteine zu halten ist schwierig, aber gleichsam eine faszinierende Aufgabe.
Das Kellerbuch
Als sich die Türen zum Keller öffnen, spüre ich die Geschichte, der Familie, des Weins, der Region. „Gleich nach dem Eingang befand sich der Pressraum, mit mehreren Bottichen, die bei guter Ernte auch übereinander standen“, zeichnet Markus, Sohn von Ludwig Sammer, gedanklich mit seinen Händen über die Mauern.
Schon in der Art und Weise wie er es erklärt wird deutlich, Markus Sammer-Riegler liegt Wein nicht nur am Herzen, er lebt dafür. Auch wenn es nicht mehr der Hauptberuf ist. Mit einem Seufzen erlebt der Weinliebhaber die Veränderungen in der Branche, gute, leider aber auch viele schlechte Seiten. Ich entdecke kleine Relikte aus der Vergangenheit. Teile eines Bottichs, eine Presse aus der Jahrhundertwende, Teile des Leitsystems, durch das die Trauben aus dem kleinen Vorplatz ins Innere befördert wurden. Schwerstarbeit, von den Helfern „Gabeln“ genannt.
Der Weinkenner drückt mir ein Buch in die Hand, das „Kellerbuch“. Besucher des Kellers tragen sich darin ein, wird mir ein über Jahre bestehendes Ritual beschrieben. Singapur, Italien, Bolivien und die Schweiz sind nur einige Länder, die ich beim Blättern aufschnappe. Ich ertappe mich dabei, mich mit einer Mischung aus Respekt und Freude auf eine der Seiten einzutragen. Auch mit etwas Stolz muss ich zugeben, unter diesen vielen Nationalitäten zu sein. Fotos, Unterschriften, Reime, Erinnerungen an die zahlreichen Kellerfeste, die Seiten zeichnen einen Abriss aus schönen, aber auch schwierigen Zeiten und Dankbarkeiten, die einem Gut tun. Im Nu werde ich aus meinen Gedanken geholt, als die Türe zum Kellergewölbe geöffnet wird. „Die Fässer sind zwischen 60 und 70 Jahre alt“. Spannend, wenn Geschichte so unmittelbar fühlbar wird.
Die ideale Temperatur für eine Weinlagerung hält sich ganzjährig konstant zwischen 10 und 15 Grad Celsius, bei möglichst durchgängiger Dunkelheit und Geruchsneutralität.“
Am liebsten möchte ich die Hand auf eines der Fässer legen, die Augen schließen und den Moment wirken lassen, da entdecke ich aber schon den Teil des Kellers, der bei seiner Erbauung als Eiskeller genutzt wurde. Kühlschränke gab es zu der Zeit noch nicht. Mehrere Meter unter der Erde beträgt die Temperatur um die 13 Grad, als Lagerraum ideal. Ausgewählte Flaschen sind hier zu finden. Ich merke, dass ich in diesem Bereich noch viel Aufholbedarf habe.
Gesammelte Qualitätstropfen im „Eiskeller“
Über die Jahre gab es im Weinbau Eichenfässer in unterschiedlichen Qualitäten, Kastanienfässer, Akazienfässer, Plastiktanks, Stahltanks und die bekannten Barrique, einer Eichenfassvariante.
Über mehrere Jahrzehnte sind Münzen an die Kellerwand
geklebt worden. Das bringt Glück, so sagt man.
Markante rote Ziegel, die wahrnehmbare Kühle, mir wird bewusst, ich stehe an einem Ort, wo vor 151 Jahren schon jemand seinem Handwerk nachgegangen ist. Markus Sammer-Riegler erzählt mir, dass heute nur mehr in kleinen Mengen produziert wird. Für den Eigenbedarf, ausgewählte Unternehmen und Kunden. Eine Flasche zu ergattern, ist daher etwas ganz Besonderes.
Dem Weinkeller selbst wird er wieder mehr Leben einhauchen, die Lagerräumlichkeiten nutzen und an markanten Stellen renovieren und revitalisieren. Die Arbeit ist immens, die dahinter steckt. Ich frage mich, ob das wohl ohne einer solchen Leidenschaft für die Traube möglich sein könnte. Wohl kaum. Langsam verlassen wir den Ort, nicht ohne mich nochmals umzudrehen und die Atmosphäre noch ein weiteres Mal mit allem zu erfassen.
Wein 1×1 mit Markus Sammer-Riegler
- Wein lässt sich je nach Zuckergrad in Auslese, Spätlese, Beerenauslese, trockene Beerenauslese oder Eiswein einteilen.
- Das Spektrum von Weinen reicht von tänzelnd, leicht, frischfruchtig über resch, kraftvoll bis hin zu süß, pikant-würzig und mehr.
- Der Alkoholgehalt (Volumenprozent) muss immer auf dem Flaschenetikett stehen, falls nicht, Hände weg!
- „Qualitätswein aus Österreich“ am Etikett bedeutet, dass der Wein bei der Prüfstelle eingereicht wurde und somit eine Prüfnummer besitzt.
- Mit „Erzeugerabfüllung“ oder „Winzerabfüllung“ Schriftzug am Etikett kommt der Wein direkt vom Winzer, er wird damit unmittelbar unterstützt.
- Extrakt, Säure, Alkohol und Zucker sind Gradmesser für die Lagerfähigkeit von Wein.
Der Eiswein ist zu ernten, sobald es gefriert. Zudem muss das Traubengut in der Presse unter 0 Grad aufweisen. Eine derartige Benennung des Weins ist nur durch amtliche Messungen möglich.“
Wie schätze ich einen Wein richtig ein?
Zunächst wird nach dem Auge gegangen. Wie sieht der Wein aus? Ist er sauber oder flockig, ist es ein Rotwein oder Weißwein? Klarheit, Farbe und Reinheit sind maßgeblich. Mit der Nase erfasst man charakteristische Merkmale. Riecht er beispielsweise eher grasig-kräuterlich oder frisch-fruchtig? Die Nase trägt viel zur ersten Differenzierung bei. Sehen, riechen, schmecken, wobei die eigentliche Verkostung mehrheitlich dazu dient, um die ersten Eindrücke mit einem „Aha!“ abzurunden, Feinschliff zu geben.
Ein Wein, der fruchtig riecht, muss nicht unbedingt süß schmecken. So kann man einen alten Wein durchaus mit Feingefühl erkennen. Der Geruch lässt sich in Richtung Dörrzwetschken, Kompott, „nichts mehr junges“ beschreiben. Der Rand des Glases kann ziegelrote Farben aufweisen und die „Weintränen“ laufen bei einem Schwenk des Glases etwas langsamer herunter. Kennzeichen sowohl für das Alter als auch die Dichte.
Reise in die Geschichte: der Weinkeller und die Familie
Erbaut wurde der Weinkeller im Jahre 1865 von Anna und Karl Beck, einem Fleischermeister, der das tiefere Ende als Eiskeller nutzte. Nur wenig später fanden im vorderen Teil die ersten Weintrauben ihren Weg in die Verarbeitung. Das tiefere Mittelgewölbe diente zur Reifung und Lagerung des Weines. 1905 erfolgte die Übergabe des Kellers an Anna und Gregor Beck. Gemeinsam mit Franz Sammer übernahm deren Tochter Anna die Baulichkeit und bewirtschaftete an die zwei Hektar Weinfläche.
Mit Frau Liselotte zeichnete sich Ludwig, Sohn von Franz und Anna, als vierte Generation schließlich für den Keller verantwortlich und renovierte diesen im Jahr 1992. Deren Sohn Markus ist heute gemeinsam mit Frau Elke Besitzer des historischen Gutes „Sammer-Riegler“ und federführend in den Geschicken rund um den Wein. In Hochzeiten produzierte die Familie an die 10.000 Liter Wein. Über die Jahre lagerten im Keller Weinsorten von Blaufränkischen über Zweigelt bis hin zum Weißburgunder.
Weinbau/Weinkeller Sammer-Riegler
Prangerstraße 45, 7091 Breitenbrunn, Österreich
Vertrieb: ab Hof, Kontakt: 0676/83446274, Verkostungsmöglichkeit auf Anfrage vorhanden, um Anmeldung wird gebeten. Aktuelle Produktion: 500 Flaschen.
Text & Fotos: Wolfgang Hoi
Wolfgang Hoi ist Schreiberling, Psychologe und Medienmensch, aktiv im Verein medien.kultur.raum und seit kurzem mit Buchwurm auch der Bloggerleidenschaft verfallen. Ab und an ist er auch unterwegs, dann kommen solche Geschichten dabei raus.
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